Geisteskerker

Ich glaube an den Gott im Menschen. Sünde ist nicht die Entfernung zu Gott, sondern die zu sich selbst. Durch Selbstverleugnung, Selbstverrat, Anpassung, Feigheit, Unbeständigkeit.

Durch das Marionettendasein, das Lenken lassen durch andere, das Bestimmenlassen durch Mode, Konsum, kurzweilige Befriedigung, Verblödung, dass man sich selbst nicht mehr im Spiegel ansehen kann. Durch das Verlorengehen in Ideologie und Starrsinn, ob politisch oder religiös. Man lässt sich einsperren, gefangen halten in kleinen Käfigen, in kleinen Geisteskerkern, die keinen weiten Horizont zulassen, aus Zwang, der einem durch die Haltung der Masse auferlegt wird und dem eigenen Anspruch, der widersprüchlich ist, durch Gesetz, durch die Angst davor, man könnte eines Tages aufwachen und ist allein, die Angst vor Ausgrenzung und Isolation, weil man ehrlich zu sich selbst ist und Dinge tut oder sagt, die der Mehrheit nicht passen und ihr trotzen.

Die Einsamkeit, die daraus folgt, ist das Los und die Bitterkeit des höheren Menschen, aber auch die Quelle seiner Kraft und die Tür zu sich und seinem Leben. Die Tür zur Freude, die Tür, durch die man geht um Schönheit zu entdecken, die man nur allein entdecken kann, in einem Augenblick, in einem Klang, in einem Bild. Wahrhaftigkeit ist die Tür zum Glück. Wahrhaftigkeit, die nicht konform zu sein hat, die uns selbst den Spiegel vorhält und uns nachdenken lässt, darüber wer wir sind und warum wir sind.

Selbstkritik, Selbstreflexion, Selbsthinterfragung machen wahrhaftig und erlauben und ermöglichen uns, auch alles um uns herum zu hinterfragen und zu reflektieren, anzuprangern, was angeprangert gehört, und sich freizumachen von dem, was einen gefangen hält, nämlich den Erwartungen der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Politik einem gegenüber.

Den Geisteskerker zu zerschlagen und wehrhaft sein aus Liebe für sich selbst, ist Bedingung für jede weitere Liebe.

Und fähig sein zur Liebe und zum Hass, zum Blick für das Schöne und für das Hässliche, zur Ekstase, Freude und Lebenslust, zur Nachdenklichkeit und Traurigkeit. - Empfindsamkeit ist Bedingung dafür, frei zu sein.


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© Jana Schneider