Kunst und Pseudokunst

Für Kunst gibt es keine allgemein verbindliche Definition. Dennoch ist es möglich, die Bedeutung dieses Begriffs mit der für weiterführende Überlegungen nötigen Genauigkeit einzugrenzen. Als das Wort Kunst etwa zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert seine heutige Bedeutung erlangte, wurde es einerseits als menschliches Gestalten der Natur gegenübergestellt und andererseits als kreatives Handeln der technischen Funktionsgebundenheit handwerklicher Produktion. Dabei lassen sich verschiedene künstlerische Gestaltungsbereiche unterscheiden, von denen die bildende Kunst (Malerei, Plastik und Architektur), die Literatur, die Musik und die darstellende Kunst zu den traditionsreichsten gehören.

 

Für die Klärung des kulturellen Phänomens Kunst ist auch die etymologische Bedeutung des Wortes von großer Wichtigkeit, denn diese wird heute oft politisch manipuliert. Kunst ist ein Verbalabstraktum von können mit dem (ursprünglichen) Abstraktionssuffix -ti und dem Übergangskonsonanten s. Der weit verbreitete Spruch Kunst kommt von können wird zwar heute von linken Kunsttheoretikern als faschistisch gebrandmarkt, weil auch Goebbels ihn aussprach, er ist aber etymologisch völlig korrekt. Sprachhistorisch falsch (dafür aber politisch korrekt) ist die heute übliche Ableitung des Wortes Kunst von jener indogermanischen Wurzel mit der Bedeutung "kennen" oder "wissen", auf die das Wort können zurückgeht. Solche indogermanischen Wurzeln und ihre Bedeutungen waren vor etwa fünftausend Jahren lebende Sprache und bereits längst in Vergessenheit geraten, als das Wort Kunst vor etwa 200 Jahren seinen heutigen Inhalt bekam. An der Bedeutung des Wortes können hat sich seit damals nichts geändert, weshalb die Aussage, daß Kunst von können kommt, voll gerechtfertigt ist. Der semantische Zusammenhang dieser beiden Wörter ist noch heute jedem Deutschsprechenden bewußt, was sich auch darin zeigt, daß Tätigkeiten beliebiger Art, die keine besonderen Fähigkeiten erfordern, häufig als keine Kunst bezeichnet werden.

 

Der ideologisch motivierte Versuch, die Etymologie des Wortes Kunst zu manipulieren, entspringt der richtigen Erkenntnis, daß hier die Wortbedeutung den Schlüssel zum Verständnis des Begriffs enthält. Die eingangs erwähnte Abgrenzung der Kunst gegen Natur und Technik ist nicht eng genug, denn niemand würde alles dann noch Verbleibende schon als Kunst bezeichnen. Ästhetische, inhaltliche, formale, weltanschauliche oder moralische Kriterien, wie sie im Laufe der Geschichte immer wieder zur Beurteilung "wahrer" Kunst herangezogen wurden, haben versagt, weil sie zu stark von individuellen und kulturspezifischen Parametern abhängen, als daß sie zur Beurteilung der gesamten Kunst der Menschheit irgendwie von Nutzen sein könnten. Was bleibt ist die Rückbesinnung auf das Können. Kunst ist dann jedes kreative menschliche Gestalten, das von überragenden Fähigkeiten der Gestaltung abhängt. Kunst bedarf also eines Künstlers, ohne dessen überdurchschnittliche Begabung ein Kunstwerk nicht zustande kommen kann.

 

Auch diese Definition befreit nicht gänzlich von Willkür, denn das Ausmaß menschlicher Gestaltungskraft bildet ein Kontinuum. Somit gibt es keine Obergrenze für jene Fähigkeit, bei der man künstlerische Begabung beginnen (oder in den Bereich der Genialität übergehen) läßt. Die Untergrenze hingegen ist klar: Menschen von bloß durchschnittlicher Begabung (und natürlich alle, die diesbezüglich unter ihnen stehen) sind keine Künstler. Damit enthält der Begriff des Künstlers eine populations-statistische Komponente. Steigt etwa die durchschnittliche Begabung der Menschheit an, so wird es schwerer, ein Künstler zu sein. Ähnlich verhält es sich in anderen Sparten menschlicher Leistung. Wer lesen und schreiben kann, aber sonst nichts, gilt heute als ungebildet. Vor ein paar tausend Jahren hätte er noch den Status eines Gelehrten gehabt.

 

Die historischen Wurzeln der Moderne

 

Was wir moderne Kunst nennen, ist ein völlig neuartiges kulturhistorisches Phänomen, das früher als es tatsächlich entstand, gar nicht hätte entstehen können, denn es wurde erst durch die vor anderthalb Jahrhunderten erfolgte technische Erfindung der Photographie ermöglicht. Bis dahin war die optische Dokumentation Aufgabe von Zeichnern, Malern und Bildhauern. Von diesen hatten zwar viele nach damaligen wie heutigen Kriterien nicht das für einen Künstler nötige Talent, verfügten aber dennoch berufsbedingt über Fähigkeiten, die jene von Durchschnittsmenschen weit übertrafen. Auch für Werke, die frei von jeder Pflicht zur Dokumentation beliebig gestaltet werden konnten, wurde die realistische Darstellung als künstlerische Selbstverständlichkeit empfunden. Erst der Übergang von der manuellen zur technischen Abbildung der augenfälligen Wirklichkeit ließ in den Künstlern das Bewußtsein reifen, daß bisher viele Ausdrucksmöglichkeiten vernachlässigt worden waren, denen sie sich nach der Befreiung von der Last der realistischen Reproduktion nun zuwenden konnten. Den Beginn machte der französische Impressionismus, der flüchtige Eindrücke rasch vergänglicher Lichtverhältnisse einzufangen versuchte, und dafür gezwungen war, die bis dahin geforderte zeitaufwendige technische Genauigkeit und Detailtreue zu vernachlässigen. Damit trat die Kunstgeschichte ins Zeitalter der Moderne ein, die durch Freude am Experiment und das Brechen einengender traditioneller Regeln gekennzeichnet ist. Dieser künstlerische Aufbruch führte jedoch bis heute nicht mehr zu einer Konsolidierung (etwa in Form einer neuen Klassik), sondern vereinigte sich mit den gesellschaftlichen Umwälzungen zu einer Art Dauer-Revolution, deren Strategie im Laufe der Zeit ihren Schwerpunkt von der künstlerischen zur ideologischen Komponente verlagerte.

 

Der künstlerische Verfall der Moderne

 

Im Zuge dieser revolutionären Dynamik wurde nun die Innovation zum neuen Kriterium künstlerischen Schaffens: nicht mehr schön mußte ein Kunstwerk sein, sondern neuartig, bahnbrechend, noch nie da gewesen. Nur ein Künstler, der sich solcherart originell und fortschrittlich gab, konnte auf Erfolg hoffen, und so setzte bald eine krampfhafte Suche nach bisher noch ungebrochenen Regeln ein, deren Verletzung den erstrebten eigenen Durchbruch erwirken konnte. Bald nach den sinnlos-einengenden Vorschriften der akademischen Salonmalerei fielen auch jene der ästhetischen Qualität selbst dieser Neomanie zum Opfer. Dann wurden nicht mehr neue Formen gesucht um Schönheit zu gestalten, sondern es zählte nur noch die Neuheit; Schönheit war nicht mehr zeitgemäß. Verständlicherweise führte eine solche Entwicklung zur Ablehnung der "modernen" Kunst durch viele Menschen, die nicht einsehen wollten, daß sie für den Wunsch der Künstler nach Ruhm den Anblick von Objekten erdulden sollten, die das Schönheits-Empfinden der Betrachter gezielt verletzten. An manches konnte man sich im Laufe der Jahrzehnte gewöhnen, vieles aber bedurfte gesellschaftlicher Manipulation um akzeptiert zu werden. Am leichtesten ist erfahrungsgemäß die Beeinflussung der Jugend, so daß der künstlerische Geschmack nun schon seit etlichen Generationen in typischer Weise vom Alter eines Menschen abhängt: je älter, desto konservativer. Aber die Jugend, der infolge "zeitgemäßer" Erziehung und der Sozialisation in einer "fortschrittlichen" Gesellschaft der Schock über die ihr vorgesetzten Kunstwerke erspart blieb, mußte diese Erfahrung dann jeweils im Alter nachholen, sobald die zunehmende Eliminierung der Schönheit aus der Kunst schließlich auch ihre ästhetische Toleranzgrenze überschritt.

 

Ein kulturgeschichtliches Novum, das im Gefolge der Moderne auftrat, waren die nunmehr grenzenlos gewordenen Möglichkeiten künstlerischer Scharlatanerie. Denn wie auch immer man den künstlerischen Wert dessen einschätzen mag, was die meisten Menschen schön finden, fest steht, daß es eines beträchtlichen Könnens bedarf, solcherart Schönes zu gestalten. Häßliches hingegen vermag jeder zu schaffen, und das ohne jede Mühe. So kann es nicht verwundern, wenn im Kielwasser der Abkehr von der Ästhetik sich Menschen mit geringer oder gänzlich fehlender Begabung zu Künstlern erklären und vielleicht sogar selbst dafür halten. Die von ihnen geschaffenen Werke sind dann allerdings auch nicht wertloser als die begabter Künstler, die ihre Begabung bei der Ausübung ihrer gestalterischen Tätigkeit aber nicht einsetzen. Wenn ein Genie den Inhalt von Farbtöpfen gegen eine Leinwand schüttet oder nach dem Zufallsprinzip auf der Schreibmaschine einen literarischen Text verfaßt, dann sieht das Ergebnis um nichts besser aus, als wenn ein untalentierter Stümper dasselbe tut.

 

Mitunter wird die Meinung vertreten, der künstlerisch Wert von Werken dieser Art läge nicht im Ergebnis, sondern in der originellen Idee. Dem widerspricht aber die Erfahrung, daß solche Ideen zumeist überhaupt nicht originell sind, sondern nur Anwendungen einer immer gleichen Regel auf alle möglichen Materialien und Situationen. Diese goldene Regel lautet: Schaffe Banales und erkläre es zur Kunst. (Marcel Duchamps Ready-made-Bewegung hat das in extremer Form sogar explizit zum Programm erhoben, aber die Regel liegt bewußt oder unbewußt einem viel größeren Bereich der Moderne zugrunde.) Dabei wird das Banale gern mit dem Schockierenden gekoppelt, indem gezielt nicht nur die Regeln der Ästhetik, sondern auch der Moral oder Nützlichkeit verletzt werden, denn was auffällt, erhöht den Bekanntheitsgrad seines Urhebers.

 

In besonderem Maße gilt das für die Architektur, deren Werke ja grundsätzlich weithin sichtbar sind. Gestaltungselemente, die erfahrungsgemäß das menschliche Auge erfreuen (wie etwa die Symmetrie) oder die praktische Vorteile für die Einrichtung und Nutzung von Bauwerken haben (wie etwa rechte Winkel oder waagrechte und senkrechte Flächen) werden systematisch gemieden, während Strukturen wie überdimensionale Fenster, Großräume ohne Zwischenwände und aggressive Beleuchtung, die das menschliche Bedürfnis nach Abgrenzung und Intimität verletzen, zunehmend Verwendung finden. Je zynischer ein Architekt bereit ist, die später in seinem "Kunstwerk" lebenden oder arbeitenden Menschen durch gezielte bauliche "Tabubrüche" zu schädigen, desto schneller kann er damit rechnen berühmt zu werden.

 

In der Literatur ist der zu gestaltende Stoff die Sprache, die einer großen Menge explizit formulierter konventioneller Regeln grammatischer, lexikalischer und semantischer Art unterliegt, weil sie ja primär der Kommunikation dient. Diese bedingt implizit noch weitere Forderungen, beispielsweise daß die Sätze eines fortlaufenden Textes miteinander in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen müssen. Somit ergibt sich ein Aktionsrahmen, innerhalb dessen Literatur stattfinden muß. Ihn mutwillig zu verletzten, gilt heute jedoch als zulässiges künstlerisches Stilmittel. Die Situation gleicht einem Schachspiel, in dem einer der Spieler sich dadurch einen Namen machen möchte, daß er verbotene Züge durchführt (etwa die Eröffnung: weißer König schlägt schwarzen König) und sich dann zum Sieger erklärt – voller Stolz auf seine Originalität und seinen Mut, veraltete Tabus zu brechen, die seine spielerische Kreativität einzuengen versuchten. Ein solches Verhalten wäre natürlich absurd und kommt deshalb beim Schachspiel nicht vor, wohl aber in der modernen Literatur, wo es sogar als offizielle Stilrichtung gilt. Einige Schriftsteller haben durch Werke, deren Inhalt sich in Absurditäten erschöpft (was sie selbst gar nicht in Abrede stellen), Weltruhm erlangt. Dabei drängt sich die Vermutung auf, daß mit diesen Werken von Anfang an gar nichts anderes beabsichtigt war.

 

Wenn es so einfach ist, mit Unsinnigem Ruhm und Reichtum zu erlangen, warum vermehrt sich dann die Zahl moderner Künstler nicht explosionsartig? An Banalem gibt es in dieser Welt doch wohl keinen Mangel? Die Antwort darauf ist einfach: Wie früher gilt auch heute nicht jeder als Künstler, der nach den Kriterien seiner Zeit als solcher gelten könnte. Wie in jeder Epoche sind auch heute Beziehungen und Glück unerläßlich. Begabung war noch nie hinreichend für künstlerischen Erfolg; früher war sie jedoch notwendig, während sie jetzt unerheblich geworden ist. Daß auch heute noch erfolgreiche Künstler im Durchschnitt begabter sind als andere Menschen, liegt nur noch darin begründet, daß die Begabung die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht, daß ein Mensch eine Karriere als Künstler überhaupt anstrebt.

 

Moderne Kunst und Politik

 

Der zweite Teil der Strategie, der gegen Ende des 20. Jahrhunderts in zunehmendem Maße Bedeutung erlangte, ist die ideologische Komponente, denn die moderne Kunst wurde schließlich zur linken Kunst. Begonnen hat das damit, daß das traditionelle Kunstverständnis ein Teil jener Gesellschaft war, die zu zerstören der Sozialismus angetreten ist. Somit war künstlerische Destruktion ein Aspekt der gesellschaftlichen Destruktion im Dienste des revolutionären Umbruchs. Nun ist zwar in dem Ausmaß, in dem der Sozialismus bis zu seiner Vorherrschaft gegen Ende des 20. Jahrhunderts an Boden gewann, die politische Rebellion zurückgegangen, die künstlerische hingegen eskalierte ständig weiter. Der bis heute anhaltende vehemente Kampf der Linken gegen die Kunst legt einen tiefgreifenden Antagonismus nahe.

 

Der links-ideologische Charakter extremer Formen der modernen Kunst wird oft mit Hinweis auf den Sozialistischen Realismus geleugnet, der in den ehemaligen kommunistischen Diktaturen vorgeschrieben war. Dieser ist dem Kunstverständnis der heutigen Linken diametral entgegengesetzt und kann auch nicht der Moderne zugezählt werden. Trotz seines Namens ist er im Grunde genommen kein sozialistisches Phänomen, sondern bloß ein solches der Diktatur. Dabei war weniger der fehlende persönliche Kunstsinn der Revolutionäre und Partei-Emporkömmlinge maßgeblich, aus denen sich die Diktatoren durchwegs rekrutierten, als vielmehr die Erfordernisse einer Propaganda, deren Erfolg von ihrer Fähigkeit abhing, den "Geschmack" der allerbreitesten Massen zu treffen. So ist es nicht verwunderlich, daß sich die offizielle Kunst der Sowjetunion zur Stalin-Zeit trotz des ideologischen Gegensatzes kaum von jener der Nationalsozialisten unterschied.

 

Daß Kunst, politisch betrachtet, ein rechtes Phänomen ist, zeigt sich am augenfälligsten bei der Betrachtung des Widerspruchs zwischen dem sozialistischen Gleichheits-Ideal und der elitären Natur künstlerischer Begabung. Nach allem, was wir wissen, sind Begabungen angeboren, und große Begabungen auf wenige, begnadete Menschen beschränkt. Alle anderen, künstlerisch "Unterprivilegierten", sind nicht gesellschaftliche Opfer ihrer sozialen Schwäche, sondern genetische Opfer einer ihrem Wesen nach zutiefst "ungerechten" Natur. Dieser für linke Ideologen höchst peinliche Sachverhalt veranlaßt sie dazu, das Ärgernis auszugrenzen. Da man aber ohne Schaden für die Propaganda Kunst nicht einfach verbieten kann, muß sie nach und nach durch Nicht-Kunst ersetzt und die öffentliche Wertschätzung durch Manipulation von Kunst auf Pseudokunst umgelenkt werden. Diese unterscheidet sich von wirklicher Kunst dadurch, daß sie auch ohne Talent auskommt. Die Kunst wird damit dem Können entfremdet (sogar, wie eingangs gezeigt, in der Etymologie). Als Pseudokünstler kann sich jeder betätigen, Begabte wie Unbegabte, denn Begabung ist nicht mehr relevant. Damit wird dann nachträglich die linke These gestützt, daß erbliche Eigenschaften nicht wichtig und wichtige nicht erblich sind. Diese Aussage zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte linke Ideologie. So sind etwa bei den Rassen Unterschiede der Hautfarbe nicht wichtig und solche der Intelligenz nicht erblich, bei den Geschlechtern werden nur die anatomischen Unterschiede vererbt und die psychologischen von der Gesellschaft gemacht – da man die Existenz der Gene nicht leugnen kann, werden sie marginalisiert.

 

In der Literatur kommt noch dazu, daß überdurchschnittliche Fähigkeiten des elaborierten und stilistisch hochwertigen sprachlichen Ausdrucks bevorzugt in den höheren Gesellschaftsschichten auftreten (ein Zusammenhang, der sich etwa in der bildenden Kunst nicht beobachten läßt). Damit ist die Sprachkunst nicht nur, wie jede Kunst, elitär im Sinne ungleich verteilter Begabungen, sondern überdies ein Symbol für die den Sozialisten verhaßte kulturelle Vorherrschaft des Bildungsbürgertums. Die schöne Literatur ist ein Klassenfeind, der bewußt und systematisch proletarisiert wird. Das Mittel dazu ist weniger der oft auffallend mutwillig benützte vulgäre Wortschatz (der auch schon ohne Ideologie in der Hoffnung auf seine publicityfördernde Schockwirkung eingesetzt wurde), als vielmehr die Bevorzugung eines primitiven, restringierten Sprach-Codes, wie er für die Unterschichten jeder Gesellschaft charakteristisch ist. Auf diese Weise soll das sprachliche Defizit (genauer: der sprachliche Ausdruck des allgemeinen intellektuellen Defizits) des Proletariats auf die gesamte Sprechergemeinschaft übergreifen, wodurch die der linken Ideologie widersprechenden geistigen Unterschiede camoufliert werden. Zudem können sich nunmehr auch solche Menschen literarisch betätigen, die eine geistig anspruchsvolle, elaborierte Sprache selbst gar nicht beherrschen.

Zusätzlich zum erwähnten Gleichheitsprinzip sind auch noch andere Gesichtspunkte für die Kunstfeindlichkeit der Linken maßgeblich. Die Liebe zur Schönheit und der sie gestaltenden Kunst hat einen zeitlos-konservativen Charakter. Ein jahrhundertealtes Kunstwerk vermag den Betrachter unmittelbar emotional anzusprechen, nur abhängig vom Genie des Künstlers, nicht aber von der Epoche, in der er lebte. Damit wird eine Brücke zu angeblich doch so rückständigen vor-sozialistischen Kulturen geschlagen und außerdem die Idee des kulturellen Fortschritts ad absurdum geführt. Künstlerische Zeugen längst vergangener Zeiten wecken in uns den Wunsch des Bewahrens und Erhaltens, wobei die Wertschätzung eines alten Kunstwerkes (insbesondere bei Vergleich mit der heutigen Produktion) leicht die Hoffnung auf eine Renaissance jener Werte hervorrufen kann, der sie ihre Entstehung verdanken.

 

Wie manches Zeitlose ist auch die Schönheit selbst suspekt geworden. Wie wir heute wissen, ist der Sinn des Menschen für Schönes zumindest teilweise biologisch bedingt und somit angeboren, was zwar seine Unabhängigkeit von Kulturen und Zeitepochen ganz zwanglos erklärt, mit linken Anschauungen aber kaum vereinbar ist. Dazu kommt noch, daß zwar nur wenige Begabte Schönheit zu gestalten vermögen, aber die meisten Menschen imstande sind, sie zu erkennen. Mangelhafte künstlerische Fähigkeiten bei der Schaffung ästhetischer Kunstwerke läßt sich vor der Öffentlichkeit daher nicht verbergen. So wurde das Streben nach Schönheit einfach für reaktionär erklärt und durch die Forderung nach einem Mut zur Häßlichkeit ersetzt. Dieses neue Ideal ist heute bereits so kulturbeherrschend geworden, daß ein Bekenntnis zu dieser Häßlichkeit gar keinen Mut mehr erfordert – nur in der Ablehnung könnte man ihn noch beweisen, ist sie doch mit der sozialen Ächtung des "Banausen" verbunden. Diesen Preis aber müssen wir bezahlen, wollen wir der Kunst die Chance geben, wieder jenen Platz in der Gesellschaft zu erlangen, von dem sie durch Scharlatanerie und politische Manipulation verdrängt wurde.


Dieser Essay kann im KJ-Blog kommentiert und diskutiert werden.

© Heinrich Haferfeld